Die Getränkestelle bei km 68,2 naht,
Verpflegung gibt es so kurz vor dem Ziel nicht mehr. Sie heißt auch
Bierfleck, weil es hier sogar Bier geben soll. Das ist sicher ebenfalls
etwas, das es nur beim Rennsteiglauf gibt. Ich hatte mir im Vorfeld
überlegt, dass ich schon einen Schluck nehmen würde, wenn es mir gut geht,
um zu sehen wie es sich läuft mit Bier im Bauch (und im Kopf und in den
Beinen). Es sind ja nur noch 4 1/2 Kilometer.
Aber am Getränkestand sehe ich kein
Bier und danach zu fragen ist mir auch zu doof. Also gibt’s wieder nur
Wasser, ist vielleicht auch besser so. Im Ziel gibt es dann eh Freibier. Die
Startnummer beinhaltet einen Gutschein für ein Köstritzer Schwarzbier.
Der Weg geht jetzt in ein leichtes
Gefälle über, so dass man es richtig schön laufen lassen kann und ohne große
Anstrengung ein flottes Tempo drauf hat. Halb links voraus, noch relativ
weit unten, taucht ein größerer Ort auf. Das muss Schmiedefeld sein. Das
Ziel ist also sozusagen schon in Sichtweite, was mir neuen Schwung gibt.
Ich warte jetzt auf das 70
km-Schild. Schon oft vor dem Lauf hatte ich mir gedacht: wenn du das
erreichen solltest, dann weißt du, dass du durch bist. Denn die restlichen
2,7 km würde ich irgendwie durchstehen, und wenn ich auf allen Vieren ins
Ziel kriechen müsste. Außerdem ist es eine so schöne Zahl: 70, 70 Kilometer!
Aber die Marke will und will nicht kommen.
Nun ja, es zieht sich eben in der
Spätphase, das weiß ich ja inzwischen. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass ich
langsamer geworden sein muss. Wäre auch noch durchaus normal. Die 70 kommt
aber immer noch nicht. Die Uhr sagt, dass ich spürbar langsamer geworden
sein muss, ohne es so richtig zu merken. Die 8:50 habe ich schon
abgeschrieben und selbst die 9 Stunden erscheinen mir gefährdet. Kann es
sein, dass ich das Schild übersehen habe? Eigentlich unvorstellbar, so
sehnsüchtig wie ich darauf warte. Und abgesehen vom ersten, wo noch viel
Trubel war, habe ich keines mehr verpasst.
Soll ich schneller laufen, um meine
9 Stunden zu retten? Ich versuche es, aber es fällt schwer und viel wird das
eh nicht bringen, denke ich. So laufe ich weiter locker bergab, denn es geht
immer noch schön gleichmäßig leicht abwärts. Rein gefühlsmäßig ist es ein
durchaus flottes Tempo. Leute kommen uns entgegen, was bedeutet, dass wir
uns wieder der Zivilisation nähern. Noch 1 ½ Kilometer, ruft mir jemand zu.
1 ½ Kilometer, d. h. das Ziel ist nahe und die 70 Kilometer liegen längst
hinter mir. Meine Welt ist wieder in Ordnung und die angestrebten Zeiten
wieder erreichbar.
Hab ich das Schild doch übersehen?
Gab es gar keins oder hat es einer als Souvenir mitgenommen? Egal,
beschwingt laufe ich weiter auf leichtem Bergabweg. Noch 1 Kilometer, gleich
hast du’s geschafft, kommt die nächste Ansage von Passanten. Es geht voran
und ich erreiche den Ortsrand von Schmiedefeld. Es folgt ein kurzer,
leichter Anstieg. Ist das vielleicht anstrengend. Ich bin doch jetzt nur
noch bergab gewöhnt.
Noch 700 Meter, ruft es aus einem
Garten. Ein Service ist das hier. Soll ich schon das Tempo verschärfen?
Normalerweise ziehe ich bei den Marathonläufen auf dem letzten halben
Kilometer einen richtig schönen scharfen Endspurt. Das ist das schönste am
Marathon, habe ich schon gesagt, wenn man mit flottem Tempo an so und soviel
Läufern vorbei ins Ziel fliegt. Ich hatte auch noch nie Probleme, das am
Schluss noch zu schaffen. Aber hier hatte ich mir eigentlich vorgenommen
keinen richtigen Spurt zu laufen, um die Beine nicht zu sehr kaputt zu
machen. Denn in die Beine geht so ein scharfer Endspurt schon ganz schön und
jetzt sind die Beine nach der langen Distanz noch einiges mehr strapaziert
als beim Marathon.
Also laufe ich erst mal normal
weiter und ziehe erst etwas später mit dem Tempo an. Einfach nur so ins Ziel
schlappen will ich auch wieder nicht. Ich
bin
inzwischen auf Asphalt, die Menschen werden immer mehr und bald biege ich in
die Zielgerade ein, auch wenn die Zielbrücke noch ein ganzes Stück voraus
ist. Der Weg ist plötzlich durch ein Band geteilt. Auf der anderen Seite,
links von mir, sind ebenfalls Läufer. Es sind die Marathonläufer, die zur
gleichen Zeit, über eine andere Route, ins gleiche Ziel einlaufen.
Jetzt lasse ich es doch wieder
richtig laufen, wenn ich auch nicht volles Tempo gehe. Erleichtert wird es
dadurch, dass es immer noch ein bisschen bergab geht. Vor mir sehe ich drei
Läufer, die ich versuchen will noch zu überholen. Zwei davon krieg ich noch,
den dritten nicht mehr ganz. Ein Blödsinn, nach so einer langen Distanz.
Aber es macht einfach Spaß.
Ich
lasse meinen Blick über die Zuschauerreihen gleiten, versuche Tina zu
finden. Aber ich kann sie nicht sehen, es sind zu viele Menschen. Kurz vor
dem Ziel reiße ich die Arme
hoch, überlaufe den Zielstrich, die Zeitmessmatte. Geschafft! Eine junge
Dame hängt mir gleich die Medaille um den Hals, beglückwünscht mich. Mir
fällt ein, dass ich die Uhr noch gar nicht gestoppt habe. Ich drücke den
Knopf, schaue auf die Uhr. Eine 8:43er Zeit ist das. Wahnsinn! Mein neues
Ziel noch mal unterschritten. Von den 9 Stunden hatte ich ja noch geträumt,
wenn auch nicht für realistisch gehalten. Aber deutlich darunter, das kam
nicht mal in meinen Träumen vor. Wahnsinn, Wahnsinn, schießt es mir immer
wieder durch den Kopf.
Ein großer Glücksmoment. In der Einsamkeit des
Langstreckenläufers? Nicht wirklich. Da der Zielbereich nicht abgesperrt ist
und
nicht wie bei den großen Marathonläufen nur den Läufern vorbehalten ist,
laufen hier alle möglichen Leute kreuz und quer durcheinander. Ich stehe
trotzdem ein bisschen alleingelassen herum. Von Tina ist nichts zu sehen. Am
Getränkestand greife ich mir einen Becher Tee als Abwechslung zu all dem
Wasser unterwegs. Zu Essen wäre jetzt auch was recht. Das Gelzeugs hängt mir
inzwischen zum Hals heraus. Einen Verpflegungsstand finde ich aber nicht.
Ich greife nun zum Handy, damit wir uns
endlich finden, was dann auch schnell klappt. Siegerfotos werden geschossen.
Als erste feste Nahrung seit heute Morgen kaufe ich mir eine Thüringer
Bratwurst. Das ist vielleicht nicht die ideale Regenerationsernährung, aber
geschmeckt hat sie. Ich fühle mich gut wie immer nach einem Marathon,
vielleicht ein bisschen müder als sonst. Sind es wirklich die Endorphine,
die dafür verantwortlich sind? Egal wie, es war ein großartiges Erlebnis und
ich bin glücklich und zufrieden.
Duschen sind auch keine zu finden. Ein
bisschen chaotisch ist es schon hier. Aber ich denke dort wird man jetzt
ewig anstehen müssen und dann ist es sowieso besser in Ruhe zu Hause zu
duschen. In zwei Stunden können wir dort sein. Also machen wir uns auf den
Weg zum Auto. Zunächst ist nur nicht ganz klar wo es genau zu finden ist
(das alte Problem: Frauen und Orientierung).
Es steht am entgegen gesetzten Ortsrand und
wir müssen erst weit hinunter und gegenüber noch weiter wieder hinauf. Dabei
kommen wir an der Marathonstrecke vorbei, wo immer noch Läufer Richtung Ziel
unterwegs sind. Die armen Kerle müssen tatsächlich zum Schluss noch einen
relativ langen und steilen Anstieg bewältigen. Da hatte ich es doch schön
mit dem langen sanften Bergablauf zum Ziel.
Auch wenn es mir gut geht, der lange Weg
hinauf zum Parkplatz hätte nun doch nicht mehr sein müssen. Die Beine spüre
ich hier ganz schön. Vielleicht würde es besser gehen, wenn ich nicht vor
lauter Siegestaumel mein Köstritzer Freibier vergessen hätte, was mir gerade
einfällt. Aber so kann ich wenigstens noch Autofahren.
Kann man nach so einer Anstrengung noch
Autofahren, wird sich mancher fragen. Nun, ich bin bis jetzt noch von jedem
Marathon heimgefahren, sei es Hamburg, Berlin oder Liechtenstein gewesen.
Man fühlt sich schließlich super gut, es fehlt einem nichts, außer, dass die
Beine etwas kaputt sind. Das merkt man vor allem nach dem Aussteigen, die
ersten Schritte sind die Hölle. Aber nach der Hälfte der Fahrt von gut zwei
Stunden gebe ich diesmal doch das Steuer ab. Man muss es ja auch nicht
übertreiben.
Zu Hause dann schön duschen, der
Powerpointpräsentation für Fischers Silberhochzeit noch den letzten Schliff
geben, und dann ab zur Silberhochzeitsfeier. Ein würdiger Abschluss dieses
Tages. Natürlich hatte ich schon etwas Bedenken, ob ich das nach so einem
Lauf noch verkraften würde, aber wenn man sitzen kann und nur essen und
trinken muss, geht das schon. Bis halb Zwölf halte ich es immerhin aus.
Wer denkt, dass ich danach todmüde ins Bett
gefallen bin und sofort weg war, der irrt. Es hat noch recht lange gedauert,
bis ich eingeschlafen bin. War ja auch ein aufregender Tag.
Ja, das war mein Rennsteiglauf-Supermarathon,
ein großes Erlebnis. Ich kann es nur empfehlen. Zum Schluss untenstehend
noch der Beginn eines Artikels zum Thema Ultramarathon (so nennt man alles,
was jenseits der Marathondistanz ist), den ich im Internet gefunden habe und
der mich auch für den Rennsteig motiviert hat:
So you've run
several marathons, you've reached your goals, you've heard the words of
Peggy Lee's "Is That All There Is?" during your long runs, and you've
anticipated that at some point you might get bored with 26.2 miles. You
realize there's more running beyond the horizon. Rumors of ultramarathons
filter back to you and your running friends. Those runners who go "beyond"
the standard marathon distance pique your interest.
As you continue your
marathoning pursuits, the lure of ultrarunning hangs out there like an
artfully fashioned fisherman's fly enticing a largemouth bass. Don't
despair! Perhaps all you need is that little push-or rather, that little
lure-into the wild and wonderful world of ultramarathoning.
Die wilde und wunderbare Welt des
Ultramarathons habe ich jetzt schon ein bisschen kennen gelernt.