Die 30 km-Marke passiere ich schon
wieder in besserer Verfassung. Nun habe ich noch ziemlich genau einen
„kleinen, läppischen“ Marathon vor mir. Lieber nicht dran denken. Oder doch!
Ich stelle mir vor, dass ich jetzt am Start eines Marathons stehe, davon
habe ich ja schon einige gemacht, und gleich los laufe. In der nächsten Zeit
spiegle ich nun die hier gelaufenen Kilometer an meinem fiktiven
Marathonstart. Also bei km 35 5 Marathonkilometer, bei km 40 10
Marathonkilometer, noch 32 irgendwas zu laufen, usw. Eine nette Spielerei,
denn irgendwie muss man sich ja auch geistig beschäftigen. In der späteren
Rennphase verliert sich das allerdings.
Ich habe gerade die Vorbereitung
angesprochen. In der Weihnachtszeit habe ich damit begonnen allmählich
wieder ein bisschen mehr zu laufen. Laufen im Winter heißt auch viel Laufen
im Dunkeln und ich bin dieses Jahr viel auf Schnee gelaufen. Der Winter hat
ja lange gedauert. Auf Neuschnee ist das kein Problem, wenn er nicht zu hoch
ist. Der Untergrund ist weich und eben und durchaus griffig, und es ist
schön, durch den frisch verschneiten Wald zu laufen.
Weniger schön ist es dann auf
Altschnee, wenn der Weg durch viele Fußspuren uneben geworden ist, der
Schnee schon mal angetaut und dann wieder gefroren ist. Einmal war es in der
Hinsicht besonders schlimm. Es hatte offenbar kräftig getaut, so dass schon
das Wasser in den Spuren und Rinnen stand und dann gefroren. Jetzt war es
richtig hart, glatt und eisig und dazu noch uneben. Das war schon ein
bisschen gefährlich und ging auf die Gelenke. Andererseits kräftigt es
sicher auch die Sehnen, Bänder und Gelenke, dachte ich mir hinterher, und da
der Rennsteiglauf ja auch auf unebenen Wegen verläuft, ist das sicher ganz
nützlich. Man muss es schließlich positiv sehen. Wie glatt es war, habe ich
nach dem Lauf gemerkt, als ich mit dem Auto nicht mehr vom Waldparkplatz
weggekommen bin. Der Platz war ein einziger Spiegel und ich musste erst
Hilfe zum Schieben holen.
Schlimm war es auch am letzten
richtigen Schneetag des Jahres, am 12. März. Es hatte in der Nacht und bis
in den Vormittag hinein kräftig geschneit, ihr erinnert euch vielleicht. Ich
hatte mir für diesen Tag einen 3-Stundenlauf eingebildet und dachte es
müsste ganz gut gehen, nachdem es aufgehört hatte zu schneien und leicht zu
tauen begonnen hatte. Teilweise ging’s auch einigermaßen, teilweise weniger.
Auf
der Kalchreuther Höhe bin ich plötzlich bis zu den
Knien im Schnee
Wald, und die Bauern haben auch nur darauf gewartet, dass
der Boden endlich auftaut. Jetzt waren sie die Woche über schon fleißig mit
ihren schweren Traktoren unterwegs und haben die nassen Wege durchgewühlt.
Ich versinke bis über die Knöchel im Morast. Ausweichen auf die Wiese
daneben bringt auch nichts. Sie steht voll Wasser und ist uneben durch
Pferdespuren. Eigentlich kann man hier gar nicht laufen. War das doch schön
auf dem Schnee mit dem festen Untergrund.
Nach kurzen Umkehrüberlegungen laufe
ich trotzdem weiter, gerate später in einen falschen Weg, der sich in einer
Wiese verliert, muss mich am Feldrain entlang den Berg hoch kämpfen, um
wieder einen Weg zu finden. Wenigstens sind die Wege am Walberla in
passablem Zustand und die Aussicht vom Gipfel entschädigt mich wieder etwas.
Ich drehe zwei Runden den Berg hinauf und wieder hinunter. Als ich das erste
mal bergab laufe, kommt mir ein junges Paar entgegen. Es sind die einzigen
Menschen, die mir an dem sonst so gut besuchten Berg begegnen. Beim zweiten
Anstieg kommen sie mir kurz unterhalb des Gipfels wieder entgegen. Sie
schaut mich mit einem strahlenden Lächeln an, kleine Glücksmomente in der
Einsamkeit des Langstreckenläufers.
Dann muss ich wieder über die
Moraststrecke zurück. Ich bin froh als ich nach 3:22 Stunden endlich am Auto
bin. Ein harter Lauf, aber auch der Rennsteiglauf wird hart und so war es
wieder ein gutes Training. Man muss es positiv sehen, sagte ich es schon?
Waren meine Schuhe letzte Woche noch so schön sauber, so sind sie jetzt das
krasse Gegenteil davon, ein einziger Lehmklumpen. Jeder von ihnen wiegt ca.
2 Kilo.
Man sieht, die Trainingsläufe sind
durchaus nicht immer eintönig, sondern manchmal auch abenteuerlich. Aber nun
zurück zum Rennsteig. Die Strecke ist jetzt etwas flacher, zwar mit viel Auf
und Ab, aber ohne größere Höhenunterschiede. Ich erreiche die 35km-Marke und
prüfe wieder die Zeit, errechne meine Durchschnittsgeschwindigkeit. Das
Tempo ist immer noch gut, trotz meiner zwischenzeitlichen Problemchen. Auch
sonst fühle ich mich noch recht gut drauf, auch wenn ich natürlich schon
spüre, dass ich inzwischen ein paar Kilometer zurückgelegt habe. Gedanken an
meine 9-Stunden-Träumereien kommen auf. Ich habe fast den Schnitt, den ich
mir damals errechnet habe. Aber ich wische sie schnell wieder beiseite. Bloß
jetzt keinen Ehrgeiz entwickeln. Das könnte tödlich enden, in dem Sinn, dass
ich zu viel Kraft vergeude und später einbreche.
Etwas
später ruft mir ein Mitläufer zu: jetzt haben wir die Hälfte. Ja richtig,
bei 36,4 km ist die Mitte, da könnten wir ungefähr sein. Schon die Hälfte
oder erst die Hälfte, ist die Frage. Wohl eher letzteres, denn die zweite
Hälfte dauert mit Sicherheit länger und wird anstrengender. Ich überlege, ob
ich schon den vereinbarten Anruf bei Tina tätigen soll, beschließe aber zu
warten, bis ich die Marathondistanz hinter mich gebracht habe. Dann kann ich
sagen, ich bin nun in Neuland, so weit bin ich noch nie gelaufen.
Inzwischen sind auch Wanderer mit
Startnummern unter uns. Mir fällt ein, dass ich gelesen habe, dass ein Teil
der Strecke zusammen mit einem der Wanderwettbewerbe verläuft. Es gibt
schließlich neben dem Supermarathon noch einen Marathon und einen
Halbmarathon und außerdem einige Wanderwettbewerbe mit unterschiedlichen
Distanzen bis hin zu einer Länge von 50 km. Das ist auch nicht gerade ein
Spaziergang, oder ist jemand von euch schon mal 50 km gewandert? Ich
jedenfalls nicht annähernd. Die Wanderer hier bestreiten den 35
km-Wettbewerb, sicher ebenfalls nicht ganz ohne.
Einerseits beleben die Wanderer
unsere Läuferkonkurrenz, andererseits sind sie manchmal auch ein bisschen
störend, wenn man sich an nebeneinander gehenden Wanderern vorbeiquetschen
muss oder wenn eine Gruppe mit ihren Stöcken vor einem herklappert. Aber zu
dem Thema will ich mich hier nicht weiter äußern. Hin und wieder fühle ich
mich auch etwas getrieben, wenn ich bergauf gehenderweise auch nicht viel
schneller als die Wanderer bin. Schließlich will ich als
Supermarathon-Läufer gut aussehen, aber meine Kräfte will ich trotzdem
weiterhin schonen.
Die 40 km Marke taucht auf und genau
mit ihr beginnt es zu regnen. Muss das sein, denke ich mir. Aber ich muss ja
froh sein, dass das Wetter so lange gehalten hat. Heute Morgen sah es nicht
danach aus. Es tröpfelt nicht nur, sondern es ist richtiger Regen. Ich
nestle meine Kappe vom Versorgungsgurt und setze sie auf. Sie wird zwar bald
durchgeweicht sein, aber trotzdem ist es besser, wenn der kalte Regen nicht
direkt auf die Kopfhaut prasselt.
Es dauert nicht lange und ich bin
völlig durchnässt. Meine Laufweste ist als Windjacke ja auch nicht
wasserdicht. Waren die kühlen Temperaturen bisher eher angenehm, so sieht es
jetzt anders aus. Mir wird ganz schön kalt wie das kalte Wasser so über die
nackten Arme und Beine hinunter rinnt. Gänsehaut überzieht mich. Ich hoffe
nur, dass das nun nicht bis zum Ende des Wettbewerbs so weiter geht.
Dabei bin ich ja eigentlich gut
regenerprobt. Ich musste dieses Jahr schon viel im Regen laufen, was mir die
Jahre davor meist erspart geblieben war. So war ich mal bei einem langen
Trainingslauf im Wald unterwegs, als
ich ein Geräusch hörte, das ich überhaupt nicht zuordnen konnte. Traktor,
irgendwelche Maschinen von Waldarbeitern, nichts passte. Schließlich dachte
ich, es müsste der Wind in den Wipfeln der Bäume sein, obwohl es fast
windstill war. Dann brach es urplötzlich los und ich wusste was es war: das
Geräusch des herannahenden Regens.
Ich sprang unter den nächst besten
Baum, um mich unterzustellen. Vor einer Woche bei einem kurzen Gewitterguss
war ich so fast trocken geblieben. Aber dieser Baum ist kleiner und bald
läuft mir das von den Zweigen außen abfließende Wasser über den Rücken. Wenn
ich durch die Zweige hinaus schaue sehe ich eine weiße Wand, so schüttet es.
Mir wird klar, dass ich bald tropfnass sein und frieren werde. Dann kann ich
auch gleich hinaus in den Regen und laufen, denke ich. Nach kurzem Zögern tu
ich das auch und bin in Sekundenschnelle nass bis auf die Haut. Es ist als
stünde ich unter der Dusche, einer eiskalten Dusche. Der Weg ist richtig
überschwemmt. Ganz allmählich lässt der Regen dann nach und hört nach einer
¾ Stunde ganz auf. Trocken werde ich aber nicht mehr bis zum Ende meiner
2½-Stunden-Tour.
Dann vor zwei Wochen mein letzter
langer Lauf vor dem Rennsteig. 3 bis 3 ½ Stunden habe ich geplant und zwar
über unsere Berge am Rand der Fränkischen Schweiz. Ich bin erst kurz
unterwegs, als es zu regnen beginnt. Ich hoffe es ist nur ein kurzer
Schauer, aber es regnet sich richtig ein und kalt wird es außerdem. Die Wege
werden matschig und bergab muss ich höllisch aufpassen. Zwischendurch muss
ich ohne Weg eine Wiese überqueren, auf der das patschnasse Gras fast einen
Meter hoch steht. Die Wege werden immer rutschiger und ich warte nur noch
darauf, dass ich der Länge nach in den Schlamm stürze.
Es ist so gräuslich, dass ich
beschließe das Training abzubrechen, was sonst so gut wie nie vorkommt. Ein
bisschen habe ich doch Bedenken, dass ich mir durch eine Erkältung, die ich
mir zuziehe, das ganze Vorhaben gefährden könnte, obwohl ich an sich aus
Erfahrung weiß, dass einem beim Laufen so ein Wetter nichts anhaben kann.
Ich bin schon bei Bedingungen gelaufen, wo man normalerweise sagen würde: da
kann man sich den Tod holen. Aber es passiert einem nichts. Und so ist es
auch diesmal.
Nach 2 Stunden bin ich beim Auto.
Für einen richtig langen Lauf, der es werden sollte, ist das viel zu wenig.
So laufe ich 2 Tage später noch mal 2 ½ Stunden und hoffe, dass das reicht.
Quatsche ich eigentlich zu viel über
das Drumherum und die Vorbereitung? Ich halte das jedenfalls für sehr
wichtig. Schließlich besteht so ein Lauf nicht nur darin soundsoviel Stunden
von A nach B zu rennen. Die läuferische Vorbereitung und mentale
Auseinandersetzung mit dem Lauf gehört nicht nur dazu, sondern ist fast
schon der vorgezogene Wettkampf. Was man sich in der Vorbereitung nicht
erarbeitet hat, kann man später auch nicht bringen. Der eigentliche Lauf ist
dann „nur“ noch die Ausführung, sage ich manchmal.
Zurück zum Rennsteiglauf. Nun geht
es auch noch aus dem Wald heraus über ein ziemlich langes Stück freies
Gelände. Und schon weht wieder ein kräftiger Gegenwind und peitscht mir den
Regen ins Gesicht. Ich muss richtig gegen den Wind ankämpfen, was ganz schön
Kraft kostet. Lange sollte das nicht so weiter gehen. So richtig scheußlich
ist das. Wolkenfetzen ziehen über den Berg und ich warte darauf endlich
wieder in den Wald zu kommen, wo es geschützter ist. Als ich ihn endlich
erreiche, ist es auch gleich spürbar angenehmer (bzw. weniger unangenehm).