Bald danach erreichen wir die
Einmündung in den Rennsteig. Nun macht der Rennsteiglauf seinem Namen Ehre.
7,4 km und gut 200 Höhenmeter habe ich nun geschafft und bin schon bald eine
Stunde unterwegs. Trotzdem sind das gerade mal gut 10% der Gesamtdistanz.
Auf dem Rennsteig geht es Richtung
Osten. Auf der anderen Seite der Straße, Richtung Westen, waren wir vor
knapp einem Jahr schon mal wandernd unterwegs, als wir ein verlängertes
Wochenende mit unserer Kegelgruppe in Eisenach verbrachten. Ich hatte
damals schon vom Rennsteiglauf gehört und war beeindruckt von den kräftigen
Auf und Abs, obwohl dort drüben die Berge niedriger sind. So richtig
vorstellen konnte ich mir das nicht, hier über so eine lange Distanz zu
laufen.
Wie kommt man eigentlich dazu, so
etwas Verrücktes zu machen: 72,7 km laufen und dazu noch 1500 Höhenmeter
bergauf. Als ich vor dreieinhalb Jahren angefangen hatte zu laufen und das
recht gut ging, kam irgendwann der Gedanke auf, ob es nicht möglich sein
könnte mal einen Marathon zu laufen. Ein alter Jugendtraum, den ich längst
aufgegeben hatte: zu alt, keine Zeit, zu schwer. Dann müsste ich ja erst mal
10 kg abnehmen, dachte ich, und so einfach ist das nicht. Nun, inzwischen
hatte ich die 10 kg abgenommen und Marathonlaufen war nicht mehr so exotisch
wie damals, sondern fast eine Massenbewegung geworden. Also warum nicht auch
ich?
So lief ich vor noch nicht mal ganz
zwei Jahren meinen ersten Marathon in
Regensburg, im Herbst dann in München, im Frühjahr darauf in Hamburg. Dann
kamen Überlegungen auf, mal was Anderes zu machen. Ich hatte von einem
Alpinmarathon in Liechtenstein gelesen, d. h. 42,2 km durch die Berge mit
1800 Höhenmetern. So was Gestörtes, dachte ich im ersten Moment, als ob die
Marathondistanz nicht schlimm genug ist. Schließlich bin ich lange genug in
die Berge gegangen, um zu wissen was 1800 Höhenmeter bedeuten.
und bereit
ist, die Vorbereitung auf sich zu nehmen.
So
kam ich auf den Rennsteig-Supermarathon und fasste den Entschluss, es
einfach zu probieren, wobei der Sprung vom Alpinmarathon zu diesem Lauf
erheblich größer ist, als der Sprung von einem „einfachen“ Marathon zum
Alpinmarathon, und der ist schon groß. Aber ich wollte es ja nur probieren
und wenn es mir zu viel wird, würde ich einfach aufhören. Das wäre auch kein
Problem, wobei ich natürlich schon gerne durchkommen würde.
Ja, und jetzt bin ich unterwegs bei
diesem Supermarathon und nach einem kurzen Stück bergab geht es wieder
bergauf. Ich konzentriere mich darauf, bloß nicht das 10km-Schild zu
verpassen. Ich will endlich wissen wie ich in der Zeit liege. Schließlich
taucht es auf. Die genaue Zeit habe ich zwar vergessen, aber ich bin sehr
zufrieden. Ich bin nicht zu schnell, aber es ist trotzdem ein ordentliches
Tempo. Das heißt, dass ich mich auf mein Gefühl verlassen kann, was gut zu
wissen ist, wenn die zeitliche Kontrolle durch Kilometerangaben fehlt.
Nach
12,5 Kilometern taucht die nächste Getränkestelle auf. Ich überlege, ob ich
mir schon die erste Ration Kohlehydratgel rein drücken soll. Die
Kohlehydrate sind bei Langstreckenläufen der Mangelstoff. Der Körper kann
nur eine begrenzte Menge speichern und die ist nach rund 30 km aufgebraucht.
In Form von Fett hat man zwar mehr als genug Energiereserven zur Verfügung,
aber diese können ohne Kohlehydrate nur recht ineffizient genutzt werden.
Also muss man unterwegs welche zu sich nehmen, um nicht zu sehr einzubrechen
(der berühmte Hungerast). Zu diesem Zweck gibt es an den
Verpflegungsstellen, die erste ist bei km 17,9, Bananen, Energieriegel und
ähnliches.
Ich habe bei Marathonläufen mit
Kohlehydratgel als Energiequelle gute Erfahrungen gemacht. Das sind
konzentrierte Kohlehydrate, die vor allem leicht verdaulich sind, denn der
Magen sollte beim Laufen auch nicht allzu sehr belastet werden. Man muss sie
allerdings selber mitnehmen und erhält sie nicht an den Verpflegungsstellen.
Ich beschließe, hier die erste Gelration zu nehmen, um die körpereigenen
Kohlehydratvorräte zu schonen. Ich werde sie später noch brauchen können.
Nachdem ich schon zwei Läufern
begegnet bin, die Fuß-Fehlstellungen hatten, laufe ich nun wieder an einem
vorbei, der einen extrem nach innen gekippten Fuß hat. Er läuft fast mehr
auf dem Knöchel als auf dem Fuß. Auch wenn der Ehrgeiz und die Leistung von
diesen Leuten zu bewundern sind, so frage ich mich doch, ob das noch
sinnvoll ist.
Es ist zum Glück immer noch trocken,
der Regen hat sich erst mal verzogen. Die Temperatur ist frisch, aber zum
Laufen durchaus angenehm. Von Wind ist nicht viel zu spüren, da wir durch
den Wald geschützt sind. Wenn er aber doch mal rein kommt, so weht er
ziemlich direkt von vorne und nicht von hinten, aus Westen, wie der Wirt
prophezeit hatte.
Es
geht wieder bergauf und ich habe mir nun schon angewöhnt zum Gehen
überzugehen, sobald die Steigung ein gewisses Maß überschreitet. Auch die
meisten anderen tun das, nur wenige laufen komplett durch. Sie sind nur
geringfügig schneller und bergab überhole ich sie meist wieder. Vereinzelt
gibt es zwischen anderen Läufern Diskussionen was denn nun besser ist an den
Steigungen: Gehen oder Laufen.
Ich bin jedenfalls sehr überzeugt
davon, dass es in meiner Leistungsklasse auf die Dauer des Laufs bezogen
Vorteile bringt, wenn man an den steileren Anstiegen geht. Schließlich geht
man auch nicht in gemütlichem Wandertempo den Berg hoch, sondern mit
scharfem Schritt. Der Puls ist dabei auch nicht niedriger als beim Laufen
auf flacheren Strecken. Ich meine, man kann aber einiges an Kraft sparen,
die man in der späteren Phase sicher noch gut gebrauchen kann.
Das 15km-Schild habe ich schon
hinter mir gelassen und es geht weiter bergauf, dann auch mal wieder ein
Stück abwärts, wo ich es schön laufen lassen kann, hinunter zur ersten
Verpflegungsstation nach knapp 18 km. Ich lasse die angebotenen Sachen aber
links liegen und bleibe vorerst bei meinem Gel, trinke nur einen Becher
Wasser. Das muss sein, wie schon gesagt, hat aber auch seine Konsequenzen.
Ich war noch nicht lange unterwegs
heute Morgen, da musste ich schon zum ersten mal pinkeln, obwohl ich vor dem
Lauf nichts mehr getrunken hatte. Und jetzt vor kurzem, nach zwei Stunden,
musste ich schon zum dritten mal. Das gibt einen neuen Rekord, dachte ich
mir. Der bisherige liegt bei fünf mal, aufgestellt letztes Jahr in
Liechtenstein. Aber dann normalisiert es sich doch wieder und ich kann
meinen Rekord letztlich nur einstellen. Pinkelrekorde! Über was man alles
nachdenkt während so einem Lauf. Hier im Wald ist es auch kein Problem. Bei
einem Stadtmarathon sieht es schon anders aus.
Nach
der Verpflegungsstelle geht es wieder aufwärts, wenn auch nicht allzu steil.
Es sind immer noch recht viele Läufer um mich herum. Das Feld hat sich
erstaunlicherweise noch gar nicht so weit auseinander gezogen. Viele
Gesichter kenne ich nun schon, denn naturgemäß findet man sich mit der Zeit
unter Leuten wieder, die das gleiche Tempo laufen wie man selbst. Dann ist
der eine mal vor einem, mal hinter einem und irgendwann kommt er wieder nach
vorn.