Aber welch Wunder: als ich in Eisenach aus dem Auto steige,
fallen die letzten paar Regentropfen, dann ist erst mal Ruhe. Meine Stimmung
steigt sprunghaft wieder an. Trainingsanzug ausziehen, noch mal prüfen, ob
ich alles dabei habe, Verabschiedung von Tina, dann kann’s losgehen. „Wenn
wir uns wieder sehen bin ich schon 55 km gelaufen, so weit wie noch nie“,
sage ich. Wir wollen uns an der Zwischenstation Grenzadler bei Oberhof
treffen. Sie legt sich jetzt wieder ins Bett und frühstückt später
gemütlich, während ich mich quälen muss.
Auch aus anderen Autos steigen Läufer und machen sich, wie
ich, auf den Weg zum Start am Marktplatz. Ich beginne leicht zu traben, um
mich schon etwas aufzuwärmen. Es ist doch recht frisch zu so früher Stunde.
Bald ist der Marktplatz erreicht, wo die Hölle los ist. Läufer, Angehörige
und Zuschauer wuseln über den Platz. Ich verdrücke mich noch mal in eine
Seitenstraße, um mich etwas einzulaufen. Viel muss es nicht sein,
schließlich will ich nicht schnell loslaufen, aber ganz kalt sollten die
Muskeln auch nicht sein.
Ich
kehre zurück zum Marktplatz, schaue mir ein bisschen die Konkurrenz an und
ordne mich dann ziemlich weit hinten in die lose formierte Schlange der
Läufer ein. Es ist ein paar Minuten vor sechs, die Nervosität steigt, Treten
von einem Fuß auf den anderen. Wann
geht’s endlich los? Über den
Lautsprecher höre ich was von einem Rekord-Teilnehmerfeld, über 1800 Läufer
sind gemeldet. Der älteste Teilnehmer ist 78 Jahre alt, einer ist zum 33.
mal dabei, was nicht weniger bedeutet, als dass er bisher jeden
Rennsteig-Supermarathon mitgemacht hat, denn dies ist der 33.
Dann übernimmt der Oberbürgermeister von Eisenach das
Mikrofon. Er muss also zu so früher Stunde am Samstag schon im Dienst sein
(„hätt er wos Gscheits glernt“). Es kommen die üblichen Begrüßungsworte,
Glückwünsche für den Wettkampf. Dann der obligatorische Countdown bis Null,
der Startschuss.
Vorne
werden die guten Läufer jetzt losstürmen. Hier hinten
bewegt sich noch gar
nichts. Lediglich Applaus und Gejohle hat der Startschuss ausgelöst. Aber
schon bald setzen auch wir uns in Bewegung. Zunächst rücken wir gehend nach,
gehen dann in den Laufschritt über. Ein fürchterliches Gepiepse, ausgelöst
durch die vielen Läufer beim Überqueren der Zeitmessmatte an der Startlinie,
markiert den eigentlichen Beginn des Laufs.
Ein Kribbeln steigt in mir auf, breitet sich aus bis oben
hin, Gänsehautgefühl. Ich bin unterwegs! Unterwegs beim
Rennsteiglauf-Supermarathon! Fast fünf Monate Vorbereitungszeit liegen
hinter mir, Vorbereitung hin auf diesen Zeitpunkt. Wie wird es mir ergehen?
Das ist die große offene Frage, die auch nicht durch noch so viele
Informationen und Überlegungen beantwortet werden kann. Das muss ich jetzt
einfach erleben. In 10 Stunden weiß ich mehr, sage ich mir.
In
einer dichten Läufertraube geht es locker trabend durch das schlafende
Eisenach. In den Randgebieten beginnen dann die ersten Steigungen. In ein
paar Kehren geht es durch eine Villengegend nach oben. Und schon stellt
sich die Frage: laufen oder gehen? Natürlich könnte ich laufen, so steil ist
es auch wieder nicht. Aber ist es auch sinnvoll? Schließlich habe ich mir
fest vorgenommen langsam anzugehen und meine Kräfte zu schonen. Ich werde
sie später noch dringend brauchen. Also laufe ich ein Stückchen bergauf und
gehe dann in einen zügigen Walkingschritt über, was auch einige andere
Läufer tun.
Am Ortsrand von Eisenach wird es
etwas flacher und es wird wieder gelaufen. Plötzlich ein Stau, was ist das
denn? Nervosität kommt auf, ein Blick auf die Uhr, da es nur in langsamem
Schritttempo vorangeht. Ich mahne mich selber zur Gelassenheit. Die paar
Sekunden Zeitverlust werden bei der Dauer des Wettkampfs sicher keine Rolle
spielen. Ursache für den Stau ist, dass sich die breite Strasse aus der
Stadt auf einen Feldweg verengt. Wenig später: schon wieder Stau. Der Grund
ist diesmal eine große, tiefe Pfütze auf der linken Wegseite, durch die
niemand waten will. Das war’s dann aber endgültig mit den Staus. Wir sind ja
auch nicht im Urlaubsverkehr auf der Autobahn.
Es
herrscht noch ein munteres Gequatsche zwischen den Läufern. Schließlich sind
alle noch fit und munter. Später verliert sich das völlig. Zum einen ist
dann die Läuferdichte wesentlich niedriger und es ist jeder mit sich selbst
und dem Laufen beschäftigt und hat keine Lust und Energie mehr zum Reden.
Durch lichten Wald geht es leicht
bergauf Richtung Rennsteig, den wir nach 7,4 km auf der Höhe erreichen
werden. Ich warte nun auf das erste 5km-Schild, um zu wissen wie ich
zeitlich liege. Bei normalen Marathonläufen ist jeder einzelne Kilometer
markiert. Man hat dann immer eine gute Orientierung wie man tempo- und
zeitmäßig unterwegs ist. In der Endphase eines Wettkampfs hangele ich mich
meist nur noch von Kilometerschild zu Kilometerschild. Hier gibt es nur alle
fünf Kilometer eine Tafel. Das sind aber immerhin auch noch 14, und dann ist
man noch nicht im Ziel.
Die 5km-Marke will aber einfach
nicht auftauchen. Bin ich etwa so langsam? Dann erreiche ich die erste
Getränkestelle. Da ich weiß, dass diese bei knapp 7 km platziert ist, muss
ich das 5km-Schild übersehen haben oder es gab gar keins. Mist, nun muss ich
bis Kilometer zehn warten und weiter nach Gefühl und Pulsmesser laufen. Ich
trinke einen Becher Wasser, obwohl ich noch nicht groß Durst habe, aber man
muss von Anfang ausreichend trinken, um zu vermeiden, dass man in ein
leistungsminderndes Flüssigkeitsdefizit gerät. Auf das Durstgefühl kann man
sich nur schlecht verlassen.